8. Dezember 2016
Gina, die zur Weihnacht kam
(von Gabriele Maricic-Kaiblinger)
Seit den frühen Morgenstunden schon, sah Andrea sie da sitzen. Das buschige schwarze Fell bot einen Kontrast zum verschneiten Garten. Ihr war, als würden die Blicke aus den großen smaragdfarbenen Augen sie regelrecht durchdringen. Sie mochte keine Katzen, das Mystische, fast Unheimliche, das diese umgab, machte ihr Angst.
Als ihr Mann und die Kinder zum Frühstück kamen, seufze Andrea leise. Der zehnjährige Markus, die achtjährige Anna, ja sogar ihr Mann Robert, wünschten sich schon lange so einen schnurrenden Stubentiger. Doch auf diese Wünsche ging sie einfach nicht drauf ein. Und nun saß da diese Katze im Garten und wenn die Kinder sie sahen, dann ...
"...ein Kätzchen ..." hörte sie da ihre Tochter sagen und blitzschnell kam aus ihrem Mund: "Die holt ihr nicht rein! Verstanden?!" Robert und die Kinder sahen sie verdutzt an. Sie hatten be-reits den Tisch abgeräumt und mit einem Brettspiel begonnen. Andrea hatte dies gar nicht bemerkt. Markus reagierte als Erster und lief zum Fenster. "Da ist ja gar keine Katze." Auch Anna sah nach und kehrte ebenso enttäuscht zum Tisch zurück. "Tja ... äh ... darf ich mitspielen ...?" stammelte Andrea verlegen, aber Markus belehrte sie: "Ach Mama, doch nicht mitten im Spiel." Sie lächelte, zuckte mit den Schultern und ging schnell rauf in die Schlafzimmer, um sich mit Betten machen abzulenken. Als sie am Balkon stand und die kalte, würzige Dezemberluft einatmete, war jedoch die Katze wieder da und blickte mit großen Augen zu ihr herauf. Sie miaute nicht, maunzte nicht, saß nur da und starrte. Andrea erschrak, machte rasch die Betten und hoffte, die Katze würde so lautlos verschwinden, wie sie erschienen war.
Die Kinder liefen nun öfter zum Fenster, um die dicken Schneeflocken zu bewundern, die jetzt ebenfalls lautlos vom Himmel wehten. Aber nie erwähnten sie die Katze. Doch riskierte Andrea dann und wann einen verstohlenen Blick, war die Katze immer da und blickte ihr mit ihren runden Augen geradewegs ins Gesicht.
Als sie gemeinsam das Haus verließen, um einkaufen zu gehen, drehte Andrea ihren Kopf nach links und rechts und ... "Was suchst du denn?" fragte Robert. Sie zuckte zusammen. "Äh nichts ... da ist doch nichts oder?". Robert schüttelte verwundert den Kopf und die Kinder waren sowieso schon zum Auto gelaufen und wischten den Schnee ab. Niemand außer ihr schien die schwarze Katze zu bemerken.
Nach dem Mittagessen schickte Andrea Robert mit den Kindern weg und machte sich ans Christbaumschmücken. Das geheimnisvolle Tier saß im Garten und machte sie nervös. Schließlich klapperte sie die gesamte Reihenhaussiedlung ab, doch niemand wusste, wem eine Katze, auf die diese Beschreibung passte, gehören könnte.
Andrea traf weiter Weihnachtsvorbereitungen. Dann und wann dazwischen ein Blick in den Garten. Sie war da. Geduldig, ruhig, als würde sie auf etwas warten, mit Augen, die stets noch ausdrucksvoller schienen, so klug und so wissend. Andrea fühlte sich zunehmend fasziniert.
Als sie die Post aus dem Briefkasten am Gartenzaun holte, war die Katze ebenfalls an ihrem gewohnten Platz. Doch beim Zurückgehen saß das Tier plötzlich vor der Eingangstür. Andrea stockte kurz, dann schritt sie auf die Tür zu, blieb kurz davor stehen. Die Katze bewegte sich nicht, sah sie nur aus großen Smaragd-Augen an. Andrea schluckte, sah sie ebenfalls an und eigenartiger Weise schwand langsam die Angst von ihr.
Später machten sie sich alle zusammen auf den Weg zur Kindermette. Keine Katze war da, als die Familie das Haus verließ, doch als Andrea nochmals zurückblickte, saß sie vor der Eingangstür und es ergriff Andrea ein Gefühl, als ob sie jemand Vertrauten zurück ließ. Während der Messe wanderten ihre Gedanken immer wieder zu der Katze. Dann, beim Verlassen der Kirche sah sie das Tier neben dem Kirchentor sitzen, was abermals niemand anders zu bemerken schien. Vor sich hingrübelnd, sodass sie das Geplänkel ihrer Kinder und auch Roberts, gar nicht mitbekam, schlich Andrea heimwärts. Und erschrak, als die Katze vor der Haustür saß, aber diesmal war es ein freudiger Schreck. Ihre Lieben stürmten hinter ihr in den Garten und Gina, wie sie die Katze plötzlich in Gedanken nannte, war weg.
Sie bereitete das Abendessen und sah immer wieder zum Fenster raus, unbemerkt von ihrer Familie, die sich wieder dem Spielen gewidmet hatte, doch Gina war wie verschwunden.
Das Glöckchen klingelte und die Kinder stürmten ins weihnachtliche Zimmer. Erst wurden Weihnachtslieder gesungen, dann las Markus eine Geschichte vor. Doch während der Bescherung tönte plötzlich ein lautes Miauen von draußen herein. Anna lief zur Tür und machte auf. Die Katze spazierte herein. Ganz selbstverständlich, als gehörte sie schon immer hierher und wäre nur kurz draußen gewesen. Andrea musste lächeln. "Das ist Gina", sagte sie nur und während die anderen sie erstaunt ansahen, bückte sie sich und streichelte das kuschelige Tier.
"Gehört die jetzt uns?" fragte Anna. "Ja", antwortete Andrea, "sie hat sich uns ausgesucht."
Einen schönen Advent
Sylvia Ruth