
21. Dezember
Der Weihnachtsengel
Geschäftig rannten Oma und Mama in der Küche hin und her. Im Ofen brutzelte eine Weihnachtsgans und auf dem Herd köchelten allerlei Köstlichkeiten vor sich hin. Oma summte leise ein altes Weihnachtslied:
"Vom Himmel hoch da komm ich her ....."
Hanna mochte dieses Lied nicht besonders. Sie stand am Küchenfenster und naschte an dem Kuchen, der dort zum abkühlen stand.
"Patsch" ...hatte Mama ihr einen leichten Klapps auf die kleinen Fingerchen gegeben. "Hanna!!! Wie oft hab ich Dir schon gesagt...genascht wird nicht!" schimpfte sie mit tadelndem Blick aus ihrer kleinen "Küchenbrille". Mama nannte diese Brille so, weil sie sie nur zum Rezepte lesen in der Küche trug.
Schmollend und sich die leicht rote Hand haltend ging Hanna hocherhobenen Kopfes aus der Küche. Opa kam ihr auf dem Flur entgegen. "Na, Pupperle... hat sie Dich wieder ausgeschimpft?" Hanna nickte mit kleinen Schmollmund.
"Na komm....." sagte Opa und zog einen Lollli in Rentierform hinter seinem Rücken hervor. Augenzwinkernd legte er den Finger an seine Lippen, bevor er seiner Enkelin den Lolli reichte.
"Pssssst.... nicht Mama verraten. Sonst bekomme ich auch noch geschimpft...."
Hanna kicherte, nahm den Lolli und drückte ihrem Opa einen Schmatzer auf die Wange. Opa strahlte.
"Freust Du Dich schon auf´s Chriskind, Pupperle?"
Hanna wiegte den Kopf hin und her... ihre Zöpfchen wippten lustig mit.
"Opi.... glaubst Du, das Christkind kommt zu jedem.. jedem auf der Welt und bringt einen Tannenbaum und Geschenke... glaubst Du das?"
Mit großen Kulleraugen sah sie ihren Opa an, der nun seinerseits bedächtig den Kopf hin und her wiegte.
"Ja, ich glaube schon... wenn sie brav und artig waren... bestimmt... ja, das glaube ich."
Damit schlurfte er wieder ins Wohnzimmer, wo Hannas Papa hinter verschlossener Tür und mit Taschenlampe den Tannenbaum schmückte.
Hanna lief in ihr Zimmer und überlegte.
Ob es schon zu spät war, noch einen ganz wichtigen Wunschzettel
ans Christkind zu schicken?
Sie setze sich an ihren kleinen Kinderschreibtisch, nahm sich ein Blatt von dem Weihnachts-Briefpapier und einen Stift.
Dann schrieb sie:
"Libes Chriskind,
ich heisse Hanna und bin 5 Jare.
Ich komme im Sommer in die Schuhle.
Mama übt schon schreiben mit mir.
Aber ich kahn nicht alle Wörther.
Ich wünsche mir, das alle ein schönes Weihnachten haben.
Mit Baum, viel essen und Geschenken.
Alle solen froh sein.
Es heisst doch lasst uns froh und munther sein. Ich will auch nicht viele Geschenke...bring sie liber den armen Kindern."
Zufrieden schaute sie auf ihr Werk und malte noch ein paar Herzen dazu.
Unten am Haus war ein Briefkasten.
Schnell schlüpfte Hanna in ihre Gummistiefelchen und den rosa Wintermantel. Leise öffnete sie die Wohnungstür und lief die vier Treppen runter zur Haustüre.
Uiiiiii....ziemlich schwer war sie.
Hanna musste sich ganz schön anstrengen.
Sie zog und zog... aber sie bekam die Tür nur ein kleines Stück auf.
Das reichte nicht um sich durchzuzwängen, um den Brief einzuwerfen.
Traurig setzte sie sich auf die unterste Stufe, legte das Kinn in ihre Hände und überlegte.
Da .... die Tür ging auf.
Die alte Frau von nebenan kam herein.
"Na Hannalein... so allein? Wo sind denn Deine Eltern....?" sprach sie das Kind an.
"Sie sind oben... Mama und Oma sind in der Küche... ich muss noch schnell dem Christkind schreiben, aber ich bekomme die Tür nicht weit genug auf um den Brief einzuwerfen."
Lächelnd hielt Frau Krämer dem Kind die Tür auf.
"Na , komm...ich halte die Tür auf und warte hier auf Dich."
Hanna sprang auf... lief durch die Tür und zum Briefkasten. Schnell ließ sie den liebevoll geschriebenen und bemalten Brief in den Kasten fallen.
Jetzt war sie zufrieden.
Jetzt konnte Weihnachten kommen.
Summend hüpfte sie zurück ins Haus, wo Frau Krämer wie versprochen auf sie wartete.
"Vom Himmel hoch da komm ich her......"
Leise fing die alte Frau an mitzusingen.
Wie lange hatte sie dieses Lied schon nicht mehr gehört oder gesungen.
Ewigkeiten....seit....ja, seit keiner ihrer Kinder mehr zu Weihnachten kam.
Sie hatten alle ihr eigenes Leben und in diesen Leben war wohl kein Platz mehr für ihre alte Mutter.
Jetzt nur nicht vor dem Kind weinen, dachte sie.
"Warte mal. Hannalein....ich hab noch etwas für Dich."
Hanna blieb am Treppenabsatz stehen und schaute sie neugierig an.
Die alte Frau überlegte, sie wollte dem Kind so gern etwas schenken.
Ihre Enkelin war fast genauso alt, aber sie hatte sie als Baby zum letzten mal gesehen.
Ja, das war es ....jetzt wusste sie, was sie Hanna schenken konnte.
Langsam streifte sie ein buntes Armband mit Glassteinen ab. Das Armband hatte ihr vor langer Zeit ihr Mann geschenkt. An ihrem letzten gemeinsamen Weihnachtsfest.
Beide hatten nicht viel Geld, aber sie hatten sich und waren glücklich.
Jupp, ihr Mann hatte ihr das Armband zärtlich über das Handgelenk gestreift. "Ich liebe Dich wie am ersten Tag, Muttichen" hatte er dazu geflüstert.
Sie aßen Butterbrot und tranken zur Feier des Tages einmal nicht verdünnten Kaffee. Lange saßen sie da, Arm in Arm und schauten auf die Straße von der aus man in die Fenster sehen konnte.
Dort feierten Familien Weihnachten...den Heiligabend. Mit prächtig geschmückten Christbäumen und leckerem Essen..mit tanzen um den Weihnachtsbaum und vielem lachen und singen.
Leise begann der alte Mann ein Lied zu singen, während er seine Frau im Arm hielt und sanft streichelte. "Vom Himmel hoch da komm ich her ......"
Andächtig lauschte sie seiner leisen, tiefen Stimme.
"Na ,Muttilein ...wollen wir schlafen gehen?"
Sie nickte und gab ihrem Mann einen zärtlichen Kuss.
Hand in Hand gingen sie ins Schlafzimmer und Hand in Hand schliefen sie ein. Wie immer....wie seid 63 Jahren.
Am nächsten Tag wachte Jupp nicht mehr auf.
Aus ihren Erinnerungen gerissen... denn Hanna bedankte sich stürmisch, zuckte Emmi zusammen.
Sie freute sich dem kleinen Sonnenschein eine Freude gemacht zu haben.
Und Jupp...ja, ihren geliebten Jupp hatte sie sowieso im Herzen.
Auch ohne Armband.
Später am Abend.
Hanna hatte ihr neues weisses Kleidchen an und ihre langen, blonden Haare offen. In süssen Locken fielen sie den Rücken herab. Sie waren bereits ausgehfertig um in die Kirche zu gehen und so den Heiligabend einzuläuten.
Auf dem Nachhauseweg läuteten die Glocken und überall in den Fenstern konnte man Familien sehen die feierten.
Mit bunt geschmückten Christbäumen...einer festlich gedeckten Tafel mit allerlei gutem Essen und gespannten Kindern, die auf das Christkind warteten.
Aber da...bei Frau Krämer war alles dunkel. Nur ein kleines, schwaches Lichtlein flackerte in dem Fenster. Hanna wunderte sich, wurde aber sofort wieder abgelenkt.
Opa und Papa spielten nochmal "Engelchen flieg....." mit ihr.
Sie lachte laut vor Spass und rief: "Nochmal....nochmal....."
Hanna freute sich, war aufgeregt und kam gar nicht schnell genug nach Hause. Auch sie wartete auf das Christkind.
Das Weihnachtsessen zog sich endlos hin und Mama wollte unbedingt noch den Tisch abräumen.
Papa löschte die Kerzen von nun ausgedienten Adventskranz und stellte ihn achtlos ins Treppenhaus.
Dann verschwanden die Erwachsenen ins Weihnachts-Zimmer und ließen Hanna kurz allein.
"Was, wenn Frau Krämer gar nicht Weihnachten feiert!?" überlegte sie leise vor sich hin. Sie beschoss einfach nachzusehen und bei der alten Frau zu klingeln.
An Weihnachten sollten doch alle glücklich sein und wie sollte sie sich freuen und glücklich sein, wenn andere vielleicht traurig waren.
Nein, das ging nicht.
Ohne nachzudenken rannte sie in die Küche, nahm Mama´s Einkaufs-Korb und füllte ihn mit den Resten der Weihnachts-Gans, dem jetzt ausgekühlten und verzierten Kuchen und allem, was sie sonst noch finden konnte.
Dann eilte sie in ihr Kinderzimmer, setzte ihren Teddy mit in den Korb, er sollte ab jetzt der netten Frau Gesellschaft leisten, damit sie sich nie mehr allein fühlte und ging mit ihren Schätzen in das Treppenhaus.
"Oh...der Adventskranz....." dachte sie....."....den nehme ich auch noch mit! Ein bisschen können die Kerzen noch brennen."
Langsam wurde der Korb zu schwer zum tragen, aber Hanna musste ja nur sechs Schritte laufen, dann stand sie vor Frau Krämers Haustür.
Aufgeregt klingelte sie. Vorsichtig öffnete sich die Tür einen Spalt.
"Ja, bitte .......?" flüsterte es leise. Hanna fing, ohne zu überlegen zu singen an: "Vom Himmel hoch da komm ich her....."
Mittlerweile standen auch Opa, Oma, Mama und Papa, die Hanna aufgeregt gesucht und das singen draußen im Treppenhaus gehört hatten vor der Haustür. Oma hatte Tränen in den Augen und auch Mama musste schlucken.
Ihr kleiner Weihnachtsengel... da stand er und sang inbrünstig ein Weihnachtslied.
Laut sangen alle mit und Frau Krämer stand in der jetzt offenen Tür.
Lachte und weinte vor Freude und Rührung.
Hanna strahlte.
JA ... JETZT war Weihnachten.
(c) Tanja Finchen Hoffmann
Ich wünsche euch allen einen wunderschönen Tag! Silvia Ruth